I II III Digression IV Literatur

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Der Mann jedenfalls faßt aus dem Schock dieser Reflexion über die Möglichkeit des unbemerkten Tods des Todfeindes und der damit einhergehenden Entlarvung der Zeit als einer Feindin einen Vorsatz: "Villari [der falsche] versuchte, in der reinen Gegenwart zu leben, ohne Erinnerungen, ohne Vorkehrungen; die ersten waren ihm nicht so wichtig wie letztere. Dunkel meinte er zu fühlen, daß die Vergangenheit der Stoff sei, aus dem die Zeit gemacht ist; deshalb verwandelt sie sich auch sofort in Vergangenheit." (Irgendwo schreibt Borges: "Die Dichtung arbeitet mit Vergangenheit.") Dies wäre also seine Konsequenz, um dem Modus des Traums zu entkommen: der - notwendig vergebliche - Versuch eines Lebens in der Gegenwart (die Beckett´schen Helden dagegen, die über die Frage der Beschaffenheit des Gestern in schiere Verzweiflung geraten, weil sie glauben, die Erinnerung an das gestrige Geschehen würde ihrem Heute Substanz verleihen, empfinden das Leben in der Gegenwart als Fluch), Leben in einer Gegenwart, die ja nach Meinung des Mannes nie Zeit ist, weil die Zeit in ihrer Sukzession sofort zur Vergangenheit wird. (Nach der zweiten Reflexion bekommt der Mann Zahnschmerzen und läßt sich einen Backenzahn ziehen, man könnte sagen: den Zahn der Zeit.) Die Existenz verlöre damit ihre teleologische Bestimmung (Warten - als Teleologie in nuce), ihre Erfüllung fände entweder jetzt statt oder fände nicht statt - ein Nie gäbe es ja in der Zeitlosigkeit nicht -, oder, wie Godard einmal schreibt, "zwei Stunden Wartezeit am Flughafen sind, glaube ich, weder Verlust noch Gewinn. Schließlich lebt man dabei ja ebensosehr." - Was das Warten auf dem Flughafen allerdings von dem Warten des falschen Villari unterscheidet, ist die Terminierung - das weiß auch der Wartende noch von früher her: "In anderen Zeiten der Zurückgezogenheit hatte er der Versuchung nachgegeben, die Tage und die Stunden zu zählen, aber diese Haft hier war anders, weil sie keinen Schlußtermin hatte": Villari weiß nicht, wie lange er noch warten muß, er weiß nach diesem furchtbaren Gedanken noch nicht einmal, ob er überhaupt noch warten muß. Und selbst wenn auch seine Existenz ihre teleologische Bestimmung - das Warten auf den Tod des Todfeindes - verlieren könnte, selbst wenn die zeitlose Existenz in der reinen Gegenwart möglich wäre - die Bedingung ihrer Möglichkeit wäre ihm allein das Warten.