Inhalt Kumulation Betrieb # 1 Borges & Co. Betrieb # 2 Literatur etc.

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Im Internet findet die primäre Selektion nicht statt und die Publikationstechnik liegt in der Hand des Autors bzw. des Webdesigners, mit dem er zusammenarbeitet - fast schon die von Marx erträumten Zustände. Der öffentliche Diskurs im Netz über Netzkunst bildet sich heraus, es gibt ihn bereits, aber er selektiert weniger, da das Medium noch relativ neu ist und dementsprechend noch Unsicherheit über die Kriterien der zweiten Selektion (= ästhetische Urteile) herrscht; das Schweigen über den Rest ist nicht so umfassend, wie im Betrieb der Printmedien, es läuft als Rauschen bei der Rezeption mit, da ja alles präsent im Netz steht.

Dabei ist der Betrieb in den Printmedien höchst anfällig für Fehlurteile, nicht in dem Sinne, daß der - in der Ästhetik irrelevante - Code "wahr / falsch" zur Anwendung käme, sondern es sind "kulturkapitalistisch hoch abgesicherte Geschmacksurteile" (Bernd Ternes), die in Widerspruch zu dem eigenen Kanon geraten. Die neue Frankfurter Schule schickte einmal unter einem Pseudonym eine Passage aus Musils "Mann ohne Eigenschaften" an diverse Verlage - und wurde von den meisten Lektoren abgelehnt; dergleichen Beispiele gibt es einige. Das liegt zum einen daran, daß nicht nur die Techniken kumulieren, sondern auch die ästhetischen Diskurse; es gibt zwar Diskurse über ästhetische Diskurse, aber da hört es schon auf. Zum anderen sind natürlich ökonomische Interessen, der Druck des Marktes mit seine Bestsellerlisten und der Ballast eines Betriebes, der nunmehr über einige Jahrhunderte fast unverändert abläuft, keine idealen Voraussetzungen für die Akzeptanz dessen, was außerhalb des mainstreams passiert. Ein potentieller Autor braucht neben der Beherrschung seiner Kunst noch andere Fähigkeiten, um im Literaturbetrieb zu bestehen. Aufmerksamkeit ist häufig ein Resultat der Fähigkeit, sich im Diskurs zu plazieren oder aber jemandem zu haben, der einen - oft erst post mortem - in dem Diskurs plaziert.