Atemberaubend war die ganze Sache nicht. Dass Politycki aber dennoch eine Lösung für den alten Streit um die digitale Literatur anbieten konnte, lag daran, dass er keineswegs als Medien-Prophet oder Hypertext-Utopiker auftrat, um unter Beweis zu stellen, dass nun auch er die Gutenberg-Galaxis verlassen habe und die Zukunft der Literatur hypertextuell, sozial und revolutionär sei. Ohnehin hatte er sich der "78er-Generation" zugeordnet, die ihm als unprogrammatisch und unideologisch galt. Politycki konstatierte, dass seine Generation längst "Abschied von der eigenen Wichtigkeit" genommen habe und nur noch "Abscheu vor jeder Art des Pathos" empfinde. (17) Wenn die wichtigsten historischen Ereignisse, nach denen sich für Politycki die 78er definierten, beim Fußball in Cordoba und beim Widerstand gegen die Endlagerung in Gorleben zu suchen waren, wie sollte er da plötzlich von Epochenbrüchen, von Jahrhundert- und Jahrtausendwenden und von der einen großen Zukunft der Literatur sprechen?

Folgerichtig stellte sich Politycki nicht als Avantgardist vor seine Zuhörer, sondern - wie er selbst es nannte - als "DAU", als "dümmster anzunehmender User". (18) Das Internet-Projekt hatte er begonnen, ohne zu ahnen, worauf er sich einließ. Nach eigenem Bekunden war ihm weder geläufig, wie man einen Personal Computer ans Netz anschließt, noch klar, wie ein Hypertext funktioniert oder gar wie eine Homepage für das World Wide Web programmiert wird. Und so schrieb einer die Netztexte für Marietta, der schlicht etwas über neue Literatur lernen wollte, ohne sich vorab der ästhetischen Zielsetzungen und medientheoretischen Zwecke seiner Praxis versichern zu müssen.


(17) Matthias Politycki: Kalbfleisch mit Reis! Die literansehe ästhetik der 78er-Generation.
In: Ders.: Die Farbe der Vokale. Von der Literatur, den 78ern und dem Gequake satter Frösche, München 1998, S. 23-44, hier: S. 43.

(18) Einen Vortrag von Politycki zum Marietta-Projekt, in dem er sich als "DAU" bezeichnet, kann man sich als kleinen Videoclip im Netz ansehen unter: www.goethe-institut.de/ms/pra/softmode /day1.htm