Einbrüche: Die bittere Bilanz der 90er
Will
man die Geschichte der digitalen Literatur der 90er Jahre erzählen,
dann nur als Geschichte der Kurzatmigkeit und Atemlosigkeit,
als Geschichte des Versuchs, die überzogenen Ansprüche zu erfüllen.
Es galt Avantgarde zu sein, den Beweis zu erbringen, dass die
Literatur auch in der Welt des Virtuellen Kräfte freizusetzen
vermag, die sie zum wichtigsten Reflexionsmedium des neuen technologischen
Umbruchs machen würde. Doch ist der Beweis ausgeblieben. Nichts,
was in den 90ern für den Computer geschrieben wurde, konnte
sich mit einer Installation messen lassen, wie sie etwa Jeffrey
Shaw mit Legible City realisiert hatte - technologisch
nicht und auch nicht konzeptionell. Immerhin hatte Shaw einen
mehrere zehntausend Mark teuren Silicon Graphics Crimson Computer
eingesetzt, um die richtigen Effekte zu erzielen. Nur mit einem
solchen Gerät ließ sich dem Rezipienten vermitteln, dass die
eigene Aktivität mit der Bewegung des digitalen Bildes auf der
Leinwand gleichgeschaltet war. Ein Computer mit geringerer Leistungskraft,
der den Interaktionsprozess nicht hätte in >Echtzeit< verrechnen
können, wäre für Legible City ungeeignet gewesen. Für
die Maschine aber brauchte Shaw einen Programmierer, der die
künstlerische Konzeption zusammen mit ihm umsetzen konnte. Und
so wurde aus der Einzelarbeit ein Projekt, an dem zuletzt eine
ganze Gruppe von Leuten beteiligt war.
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