Sie hat geredet, aber ihr Redeentwurf zeigt, daß sie nicht
(oder kaum) mehr reden wollte. Sie hält dem in dem zitierten Entwurf
ihre Existenz als Schreibende entgegen: "... eine Stunde wie diese hat
absolut nichts zu tun mit allen meinen anderen Stunden, meine Existenz
ist eine andere, ich existiere nur, wenn ich schreibe, ich bin nichts,
wenn ich nicht schreibe, ich bin mir selbst vollkommen fremd, aus mir herausgefallen,
wenn ich nicht schreibe." Wenn sie "existiert", dann - das offenbart der
folgende Satz - existiert sie für die anderen nicht mehr: "Wenn ich
aber schreibe, dann sehen Sie mich nicht ...". Die Redeangst, die Sprechhemmung
Bachmanns ist bekannt, doch sie bietet keine ausreichende Erklärung
für ihre Skepsis. Denn diese geht noch weiter, sie erstreckt sich
auf das Schreiben selbst. Wenn sie - in demselben Entwurf - verlangt, daß
man die Aktualitäten "hinwegschreiben muß" und daß ein
Schriftsteller "die Phrasen zu vernichten" hat, geht es Ingeborg Bachmann
um die Korrumpierbarkeit der Literatur: "Und wenn es Werke auch aus unserer
Zeit geben sollte, die standhalten, dann werden es solche ohne Phrase ein."
Die Scheidelinie liegt also nicht exakt zwischen dem gesprochenen (falschen
oder zumindest korrumpierbaren) und dem geschriebenen (wenigstens wahrheitsfähigen)
Wort, sondern eher zwischen der lauten, stets von heute handelnden Öffentlichkeit
(denn Öffentlichkeit ist immer aktuell, immer up to date, immer eine
Tagesöffentlichkeit) und der Nacht, in der man unsichtbar ist und
weder jetzt noch hier: "Wenn wir wahr sind, dann sind wir es in der Nacht,
sobald wir ganz allein sind", sagte sie in einem Interview. |
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