Dorothea
Dieckmann
Über Sprach-Versagen
Gedanken über Ingeborg Bachmann
|
|
Im Mai 1972 - eineinhalb Jahre vor ihrem Tod - wurde Ingeborg
Bachmann wieder einmal ein Preis verliehen, und sie hatte wieder
einmal eine Dankesrede zu halten. Während die Fernsehaufzeichnung
verlorengegangen ist, existiert ein Entwurf aus dem Nachlaß,
vier Blätter mit vielen Verschreibungen, Streichungen, Korrekturen
und Auslassungen. Er schließt mit zwei dunklen Sätzen:
Die Sprache ist die Strafe. Und: Kein Sterbenswort, ihr Worte.
Was wollte sie damit sagen? Um diese Frage annähernd zu beantworten,
sollte man erst einmal die Frageform ändern: Wollte sie überhaupt
(noch) etwas sagen? Ingeborg Bachmann formuliert nämlich
schon in den ersten Sätzen ihres Entwurfs das Quälende
des Anspruchs an den Schriftsteller, etwas Viel- , d.h. Nichtssagendes
vorzutragen. Sie empfindet die Gabe, die von ihr verlangt wird,
weil sie einen Preis bekommen hat, als Preisgabe. Und wenn es
auch zunächst so erscheint, als seien es lediglich die Ansichten
über Zeitfragen und Tagesaktualitäten, deren Kundgabe
sie sich verweigert, so wird doch deutlich, daß es schon
und vor allem die Form der mündlichen Rede selbst ist - im
Gegensatz zum schweigenden Schreiben: in die Öffentlichkeit
zu gehen und den Mund aufzumachen. Sich zu zeigen. Eine Verfälschung
der eigenen Person zu erleiden. |
|
|
|
|
|