Eine solche Katastrophe zu prophezeihen erübrigt sich: Sie ist schon längst eingetreten. Adorno hat sie aufgrund einer (noch) starren Gesellschaftstheorie nur kulturkritsch bzw. kulturpessimistisch beklagen können; Marcuse hat sie in seiner naiven Revolutionsromantik verkannt; Pasolini hat sie an der Zerstörung der Spuren archaischen Lebens in Italien hellseherisch abgelesen wie ein Wahrsager bei der Eingeweideschau, und Foucault hat sie schließlich auf einen unhintergehbaren analytischen Nenner gebracht. Die geheimen Äußerungen des Körpers, der Lust an die Oberfläche und zur Sprache zu bringen, bedeutet nicht Widerstand, sondern Kontrolle. Eine allgegenwärtige Inquisition produziert über (freiwillige) Beichte, (freiwilliges) Geständnis, (freiwillige) Unterwerfung unter physische Folter(-therapien), pädagogische Maßnahmen, ärztliche Befragungen, mediale Verhöre "die Wahrheit", eine von Machtbeziehungen durchzogene Wahrheit über den Körper. In der nach Marcuse subversiven "polymorph-perversen" Befreiung von Triebäußerungen identifiziert Foucault die Funktion polymorpher Technologien des Wissens über das Leben. In dem, was Foucault "die Sexualität" nennt - den bis in die feinsten "Durchdringungslinien" verzweigten Diskurs über den Sex, das geschlechtliche Leben des Körpers und Dasein der Lust überhaupt - wird das Geheimnis allüberall eilfertigst preisgegeben. Das Wissen über das Leben, das dadurch erzeugt wird, ist Macht. "Allgegenwart der Macht: nicht weil sie das Privileg hat, unter ihrer unerschütterlichen Einheit alles zu versammeln, sondern weil sie sich in jedem Augenblick und an jedem Punkt erzeugt. Nicht weil sie alles umfaßt, sondern weil sie von überall kommt, ist die Macht überall. ... Die Macht ist der Name, den man einer komplexen strategischen Situation in einer Gesellschaft gibt." Sie funktioniert nicht als Unterdrückung, sondern als Stimulierung der Körperlichkeit, als Produktion und Formierung von Sexualität als Teil einer riesigen Wissensstrategie. Und da jeder bei sich und gegenüber dem andern bemüht ist, das Schweigen zu brechen und den Schrei zu artikulieren, kann Foucault sagen: "Die Macht kommt von unten." Von unten, wo Pasolini einen verordneten Hedonismus am Werk sieht, einen von den tiefsten Schichten getragenen Konsumfaschismus, den Set der Höllenkreise des Inferno, die in seinem Romanfragment "Petrolio" der Prototyp des freiwillig Unterdrückten durchläuft: Der Junge Merda, ein Stück Scheiße, dessen Stigma die Häßlichkeit ist - Häßlichkeit verstanden als Deprivation dessen, was einmal die "Anmut" oder, mit Kleist, die Grazie war: die natürliche Schönheit.