V. Das richtige Pferd.
"Wäre es nicht denkbar, daß das Heilige, weit davon entfernt,
sich zurückzuziehen, in Technik und Wissenschaft eine neue Daseinsform
gefunden hätte?" Die Anzeichen dafür mehren sich. Schon Marx
und Engels sind die neuen Technologien Voraussetzung ihrer politischen
Erlösungslehre. Nur der technische Fortschritt vermag das revolutionäre
Subjekt Proletariat in die Lage zu versetzen, die Gleicheit aller Menschen,
das irdische Glück, zu erlangen. Um den Fortgang der technischen Entwicklung
mußten sie sich dabei weniger sorgen als um die Einheit der Arbeiterklasse:
Die technische Entwicklung geht scheinbar unangefochten ihren Gang "und
läßt", so Breuer, "sich weder von Gesetzen noch von Moratorien
hindern.* Die moderne Technik ist von Raum
und Zeit entgrenzt. Sei es die (ungelenkte) Macht über das Klima,
sei es das Vermögen der Kernfusion, die Sonne auf Erden zu entflammen,
sei es die Fähigkeit zu fliegen und den Schall zu überholen,
sei es die Macht, zu entscheiden, welche Tierart in Nationalparks überleben
darf und welche sterben muss, sei es die Macht, über tausende Kilometer
zu sehensprechenhören, sei es der erdauslöschende Knopfdruck,
sei es die Fertigkeit, Lahme durch Elektroimpulse gehen zu lassen und Herztote
mit batteriegetriebener Mechanik weiterleben zu lassen: Der autonome Charakter
der technischen Sphäre wird zusehends deutlich. "Der Mensch selber
ist unter die Objekte der Technik geraten", warnte Hans Jonas.**
Besonders deutlich macht das die Anthropotechnik. "Die mächtigen Technologien,
die bisher die Welt um uns herum verändert haben, nehmen nun auf einmal
uns selbst ins Visier." So der Biophysiker Gregory Stock in einem Essay
für den Spiegel 15/2000.
*
Stefan Breuer, Die Gesellschaft des Verschwindens. Von der Selbstzerstörung der technischen Zivilisation, Hamburg 1992, S. 157f.
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Hans Jonas, Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation, FFM 1984, S. 47.
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