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Man hat den Verdacht geäußert,
daß das Internet letzten Endes eine Veranstaltung von Voyeuren für
Voyeure ist. Die wollen es nun wissen. Nicht nur sehen. Wie die vollkommene
Sichtbarkeit des Geheimen beschaffen ist, das zu Ende ausgeleuchtete Geschlecht
des Lebens. Im Schatten junger Mädchenblüte. Um es auszulöschen
im tödlichen Blick, ein und für allemal. Das obszöne Bild
im Zentrum ist bereits die Leere. Keine Chance für den Staatsanwalt.
Das Verbrechen ist perfekt. Statt die Menschen und die Dinge zu schonen,
fordert man Bildschirmschoner. Und wir, die wir starren, sitzen dabei.
Im doppelten rechten Winkel, der uns die Beweglichkeit raubt und das Begehren
einklemmt. Auf daß wir nie mehr berühren können, was wir
lieben. Und es genießen, ausgeschlossen zu sein. Für immer und
ewig. Aus lauter Impotenz lauernd auf die unendliche Zunahme der Frigidität
in der Welt. Die Tastatur mit den Buchstaben ist kein Ersatz. Fingerspitzengefühl
gerät darüber zur Taubheit. Außerdem sind Schrift und Bild
nur Zugeständnisse an die Körper, solange sie noch nötig
sind. Es geht ums Rechnen, um den Leerlauf der "mathesis universalis" am
Nullpunkt der Geschichte, vor dem Nichts der Welt, vor dem Nichts der Natur,
vor dem Nichts der Materie. So man dieses Desaster weiß, wäre
es das beste, sich aus dem Staub zu machen und die Asche Asche sein zu
lassen. Aber die Entdeckung des Monströsen im Herzen der Menschheit
erzwingt eine Zeugenschaft, sei es beim Schreiben mit dem Computer. Das
steigert die Wut. Obwohl der Umstand, sich ohne Illusion an Illusionen
beteiligen zu müssen, längst ein Handlungsmuster der neuesten
Zeit ist. Die von Jonathan Swift selbst verfaßte Grabinschrift beginnt
mit den Worten: "Er ging seinen letzten Weg dorthin, wo die wütende
Entrüstung sein Herz nicht mehr zerreißen konnte."
Berlin, Kreuzberg, den
19. November 1999
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