Hyänenjagd 
 

Der Sieg der GEGENWART bringt das Selbstverständnis der Menschen ins Wanken. Der globalisierte Mensch wird unter dem Schlachtruf der Flexibiliät auf sich selbst zurückgeworfen, während Gesellschaften nur wenig Halt noch bieten, weil sie der GEGENWART nicht GEGENWAeRTig sind. 

In Deutschland offenbart sich die Krise des Bewußtseins in der Debatte um die Berliner Republik. Darin verbinden sich weltweit aktuelle Gedanken über den Umgang mit der globalisierten GEGENWART mit dem spezifisch deutschen Problem der Verantwortung gegenüber der NS-Geschichte. Die hilflose Metapher, mit der die Lösung des Problems gesucht werden soll, ist die der Normalität. 

(Es war der 27. September, und das halbe Volk rief: Herr Ober: Einmal normal, bitte! Und der Ober-Normalo Gerhard "Und-wir-machen-das" Schröder machte das.) 

Normalität forderte auch Martin Walser in einer Sonntagsrede ein. Daß diese langweilige Rede derart wirbeln konnte, offenbart die tiefe Verunsicherung, mit der wir der GEGENWART gegenüberstehen. Es ist die Verunsicherung über den Umgang mit einer krisenhaften Zukunft, in der zu allem Überfluß die letzten Opfer und Täter der NS-Zeit Tote sind, und so der gesamtdeutsche Mythos des NIE-WIEDER seine Verbindlichkeit einzubüßen droht. 

"Der Zeiten sind drei: eine Gegenwart vergangener Dinge, eine Gegenwart gegenwärtiger Dinge und eine Gegenwart zukünftiger Dinge", schrieb Augustinus. 

Walser betrieb Kritik an dem Modus der VerGEGENWAeRTigung vergangener Dinge. Die Attacke galt ausgerechnet (und zwangsläufig) dem herausragenden Symbol der GEGENWART: Walser verband den Umgang mit der NS-Vergangenheit mit einer Kritik der Medien. 

(Preisfrage: Was ist das?: Dicker Kopf, Gebiß kräftig, Stimme kreischend, Aasfresser? 

A) Medien oder B) Hyänen. 

Das Zeitalter der All-GEGENWART steht im Zeichen der Hyäne. Ein anderer nannte es die "Obszönität der Kommunikation" (Botho Strauß)). Das Ziel Walsers war möglicherweise die Sicherung der GEGENWART vergangener Dinge in zukünftiger GEGENWART: Die Suche nach einer "neuen Sprache der Erinnerung", wie es Walser und Bubis gemeinsam formulierten. Eine Suche, für die u.a. auch die Goldhagen-Debatte, die Wehrmachtausstellung, die Debatte um das Holocaust-Mahnmal oder die Suche nach dem geeigneten Namen für das Berliner Parlamentsgebäude stehen. Eine neue Sprache, die auch für die neue Zukunft der All-GEGENWART gefunden werden muß.