Frage
Ein
wenig hat es etwas von hilflosem Notbremseziehenwollen an sich, wie
in "Sinn und Form" und in der "Zeit" jüngst versucht wurde, eine
Pathos-Debatte zu eröffnen. Die ironische Ära am Ende? fragte
man nicht unironisch. Fichte, Schlegel, Novalis, Nietzsche, Dandy, PCFreak,
so in etwa sei der Stammbaum des neuzeitlichen Ironisten gewachsen.
Mit neuem Pathos müssten die Menschen sich wieder mehr aussprechen.
Können Sie dem zustimmen? Zeit, dass es Zeit wird? Wirds ernst?
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Antwort
Die
Gegenueberstellung von Pathos und Ironie als Gegensatzpaar scheit mir
ausserliterarisch - eine typische Wissenschaftler- und Kritikerdebatte,
die mit der poetischen Praxis nichts zu tun hat. Ein Kunstwerk, das
den Namen verdient ist immer beides: pathetisch UND ironisch. Es sind
die beiden Seiten der selben bestaendig rotierenden Medaille, das Eine
Voraussetzung und Bestaetigung des Anderen, das Ganze ein Vexierbild.
Zu Gegenueberstellung von Gegensaetzen wird die Sache erst, wenn man
das dynamisch-dreidiminsionale System platt und statisch projeziert
- was Wissenschaftler vermutlich tun muessen, um es in Ruhe untersuchen
zu koennen. Dann aber handelt es sich bei den ihrer sie ausmachenden
Kehrseite beraubten Kategorien nicht mehr um Pathos und Ironie, sondern
um hohles Pathos und Albernheit. Also um die Wahl zwischen Pest und
Cholera.
Man mache den einfachen Selbstversuch - weil es schneller als Lesen
geht vielleicht vor Fotos beruehmter Bauten zweier Architekten dieses
elenden Jahrhunderts, das nun endlich abhaut: Albert Speers Neue Reichskanzlei
in Berlin und Frank Gehrys Guggenheim-Museum in Bilbao. Konventionelle
Weisheit wuerde Speer wohl einen Pathetiker, Gehry einen Ironiker
nennen. Nur wirkt Speers monstroese Monumentalitaet auf mich laecherlich,
Gehrys angestrengte Lustigkeit dagegen pathetisch im englischen Sinne
des Wortes - naemlich armselig albern - also auch laecherlich. Auch
die Schwundformen der Begriffe bilden also ein Vexierbild - gleichwohl
sind es Schwundformen. Ausloeser dieser neuesten Debatte ist gewiss
die Beobachtung, dass wir in den letzten Jahren eine Kultur der Albernheit
pflegen. Nur waere es nun durchaus kein veraendernder Eingriff, sondern
nur die Bestatetigung und Verlaengerung dieser Jahre, wen wir die kleine
Muenze nun weiterdrehten zu einer Kultur des hohlen Pathos, der neuen
Betroffenheit und Sentimentalitaet und Selbsterfahrungsprosa. Die entscheidende
Frage ist, ob wir Muenzchen oder Medaillen betrachten wollen. Die Groesse
entscheidet.
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