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Sehr
einverstanden mit der Beschreibung meiner Arbeit als Erkenntnisprozess.
Tatsaechlich ist dieser Wunsch zu verstehen, zu erkennen wohl das eigentliche
Motiv meines Schreibens. "Man schreibt um die Seele zu waschen" heisst
es (ich glaube bei Benn, bin mir aber nicht sicher). Nun, das ist auch
richtig, aber nicht das Wichtigste, eher ein Nebeneffekt, der persoenlich
nuetzlich sein mag, aber poetisch, als Basis von Literatur, fuer meinen
Geschmack zu wenig waere. Eher koennte man mit einem argen Anglizismus
sagen: "Man schreibt, um die Seele zu wachsen", i.e. to make it grow.
Was gestaltet der Kuenstler? Doch nicht das, was in ihm bereits Gestalt
angenommen hat - das waere epigonales Kunsthandwerk. Der Kuenstler schoepft
Form aus dem Formlosen, Wabernden, Ahndungsvollen ... Also nicht NUR aus
der Erinnerung, den erlittenen Traumata, der Biographie, denn ueber die
verfuegt er ja bereits - mehr oder minder. Kein Kuenstler kommt um dieses
biographische Material herum; beschraenkt sich sein Kunstprodukt aber
auf das "Verarbeiten" und "Bewaeltigen" des bereits als Erinnerung, gar
Trauma Vorhandenen, wird es, mehr Dokument als Kunstwerk, zwar im Augenblick
zu ergreifen und beruehren vermoegen, aber wenig Groesse, sprich Haltbarkeit
haben. Dazu bedarf es eines Zweiten, das nicht aus dem Nebel des Vergangenen,
sondern aus jenem des sich erst ankuendigenden Zukuenftigen hervortritt.
Die Ahnung eines Zieles. Neben das dokumentarische muss also utopisches
Interesse treten. Die Suche danach, was die Welt im Innersten zusammenhaelt.
Es gibt keine Kunst ohne metaphysische Neugier. MEINE Metapher fuer dieses
etwas, das haben Sie sehr genau herausgelesen, ist nun nicht Gott oder
Glueck oder Kommunismus oder Selbstverwirklichung oder Nirwana, sondern
Liebe. Wobei es sich bei all diesen Begriffen natuerlich um Synonyme halndelt
... Ja, es geht bei mir immer um Liebe, im weitesten Sinne des Begriffs
- der beides einschliesst, die himmlische UND die irdische Liebe; ich
habe ein ausgepraegtes Interesse an Sexualitaet, dringe in die Welt AUCH
mit dem Schwanz ein; nur glaube ich nicht, dass dies die einzige moegliche
oder eine allein hinreichende Sondierungsweise waere. Am Ende geht es
um einen abstrakteren Begriff von Liebe, der sich sowenig in Sexualitaet
wie in Sentimentalitaet erschoepft, eher geistiges denn emotionales Phaenomen
ist. All das klingt im Kontext der gegenwaertigen Literaturproduktion
natuerlich sehr anachronistisch - wobei ich hochmuetig, naemlich hochgemut
genug bin, es eher fuer prophetisch als altmodisch zu halten ... Heutzutage
ist man ja schon dankbar, wenn ausser der naiv fuer gegeben gehaltenen
aeusseren Welt auch ein Fitzelchen innerer Welt in Texten aufscheint -
wir leben, TV-induziert, im Zeitalter eines hirnlosen Naturalismus, Realismus,
Dokumentarismus (ueberfluessig, jeweils "pseudo" davor zu schreiben, weil
es die Sache selbst ja nicht geben kann). Die geistige, philosophische,
metaphysische Neugier der Epoche tendiert gegen Null. In Wahrhheit zeigen
nicht wenige der juengsten Autoren, siehe Frage 1, ja nicht einmal Spuren
von politischem, historischem, sozialem, kulturhistorischem, anthrolpolgischen,
NATURWISSENSCHAFTLICHEM! Interesse. Es ist, als ob sich nur noch die Duemmsten
und Durchschnittlichsten der Generation zum Dichter berufen fuehlten.
Was mit dem Ansehensverlust des Mediums erklaert werden koennte, wenn
es im Hochangesehen Film- und Fernsehgeschaeft nicht dasselbe waere. Also
muss etwas anderes dahinter stecken, und ich fuerchte, dieses Andere ist
die Gleichheit, nein Gleichmacherei einer modernen Konsumentendemokratie
... Aber das fuehrt jetzt sehr weit. |