Frage

Da ist wieder, salopp gesagt, der Drive der Erkenntnis in Ihren Zeilen. Ihre Bücher lese ich auch als prosapoetische Darstellung eines selbstgesetzten Erkennens-, Erkenntnisprozesses. So führt Ihr Roman "Cohn & König" den Erstling "Du Idiot" ja gleich auf mehreren Ebenen fort, er weitet den Raum wie die Zeit um Florian König und seinen Lehrer und Geliebten Pierre Cohn. Zentrales Motiv bleibt dabei stets Liebe. Muß man zu lieben lernen? Oder anders gefragt: Wohin geht die Reifung? Arbeiten Sie am dritten Teil einer Trilogie?

Antwort

Sehr einverstanden mit der Beschreibung meiner Arbeit als Erkenntnisprozess. Tatsaechlich ist dieser Wunsch zu verstehen, zu erkennen wohl das eigentliche Motiv meines Schreibens. "Man schreibt um die Seele zu waschen" heisst es (ich glaube bei Benn, bin mir aber nicht sicher). Nun, das ist auch richtig, aber nicht das Wichtigste, eher ein Nebeneffekt, der persoenlich nuetzlich sein mag, aber poetisch, als Basis von Literatur, fuer meinen Geschmack zu wenig waere. Eher koennte man mit einem argen Anglizismus sagen: "Man schreibt, um die Seele zu wachsen", i.e. to make it grow. Was gestaltet der Kuenstler? Doch nicht das, was in ihm bereits Gestalt angenommen hat - das waere epigonales Kunsthandwerk. Der Kuenstler schoepft Form aus dem Formlosen, Wabernden, Ahndungsvollen ... Also nicht NUR aus der Erinnerung, den erlittenen Traumata, der Biographie, denn ueber die verfuegt er ja bereits - mehr oder minder. Kein Kuenstler kommt um dieses biographische Material herum; beschraenkt sich sein Kunstprodukt aber auf das "Verarbeiten" und "Bewaeltigen" des bereits als Erinnerung, gar Trauma Vorhandenen, wird es, mehr Dokument als Kunstwerk, zwar im Augenblick zu ergreifen und beruehren vermoegen, aber wenig Groesse, sprich Haltbarkeit haben. Dazu bedarf es eines Zweiten, das nicht aus dem Nebel des Vergangenen, sondern aus jenem des sich erst ankuendigenden Zukuenftigen hervortritt. Die Ahnung eines Zieles. Neben das dokumentarische muss also utopisches Interesse treten. Die Suche danach, was die Welt im Innersten zusammenhaelt. Es gibt keine Kunst ohne metaphysische Neugier. MEINE Metapher fuer dieses etwas, das haben Sie sehr genau herausgelesen, ist nun nicht Gott oder Glueck oder Kommunismus oder Selbstverwirklichung oder Nirwana, sondern Liebe. Wobei es sich bei all diesen Begriffen natuerlich um Synonyme halndelt ... Ja, es geht bei mir immer um Liebe, im weitesten Sinne des Begriffs - der beides einschliesst, die himmlische UND die irdische Liebe; ich habe ein ausgepraegtes Interesse an Sexualitaet, dringe in die Welt AUCH mit dem Schwanz ein; nur glaube ich nicht, dass dies die einzige moegliche oder eine allein hinreichende Sondierungsweise waere. Am Ende geht es um einen abstrakteren Begriff von Liebe, der sich sowenig in Sexualitaet wie in Sentimentalitaet erschoepft, eher geistiges denn emotionales Phaenomen ist. All das klingt im Kontext der gegenwaertigen Literaturproduktion natuerlich sehr anachronistisch - wobei ich hochmuetig, naemlich hochgemut genug bin, es eher fuer prophetisch als altmodisch zu halten ... Heutzutage ist man ja schon dankbar, wenn ausser der naiv fuer gegeben gehaltenen aeusseren Welt auch ein Fitzelchen innerer Welt in Texten aufscheint - wir leben, TV-induziert, im Zeitalter eines hirnlosen Naturalismus, Realismus, Dokumentarismus (ueberfluessig, jeweils "pseudo" davor zu schreiben, weil es die Sache selbst ja nicht geben kann). Die geistige, philosophische, metaphysische Neugier der Epoche tendiert gegen Null. In Wahrhheit zeigen nicht wenige der juengsten Autoren, siehe Frage 1, ja nicht einmal Spuren von politischem, historischem, sozialem, kulturhistorischem, anthrolpolgischen, NATURWISSENSCHAFTLICHEM! Interesse. Es ist, als ob sich nur noch die Duemmsten und Durchschnittlichsten der Generation zum Dichter berufen fuehlten. Was mit dem Ansehensverlust des Mediums erklaert werden koennte, wenn es im Hochangesehen Film- und Fernsehgeschaeft nicht dasselbe waere. Also muss etwas anderes dahinter stecken, und ich fuerchte, dieses Andere ist die Gleichheit, nein Gleichmacherei einer modernen Konsumentendemokratie ... Aber das fuehrt jetzt sehr weit.