Frage

Wie viele der von Ihnen erwähnten jungen Autoren haben auch Sie sich mit dem neuen Medium Internet beschäftigt und sich ausgiebig und ernsthaft am Netz-Projekt NULL des DuMont-Verlags beteiligt. Ihr poeto-politisches Engagement während der teilweise überaus aggressiv, ja polemisch geführten Kosovo-Debatte in NULL war unmißverständlich. Können Sie Ihren Standpunkt noch einmal knapp umreißen? Was, für Sie persönlich, war oder ist wichtig an Internet-Publikationen?

Antwort

Zwei Fragen auf einmal, die nur sehr am Rande, durch den Ort der Debatte, aneinanderhaengen.

Zum Kosovo: Ich war fuer das militaerische Eingreifen des Westens. Das heisst nicht, dass ich glaubte, der Westen habe in den Jahren und Monaten vor diesem Eingreifen oder waehrend dieses Eingreifens alles richtig gemacht. Er hat vielmehr vieles falsch gemacht. Das kann aber nicht rechtfertigen, einem rassistischen Krieg im Herzen Europas, einem vom UNO-Generalsekretaer ausdruecklich und gewiss nicht leichtfertig so bezeichnenten Voelkermord tatenlos zuzusehen. Dass der Krieg die ultima ratio zur Beendigung von Krieg und Terror (und nur zu diesem, zu keinem anderen Zweck) bleiben muss, versteht sich von selbst. Leider ist die Welt offenbar so beschaffen, dass Situationen eintreten koennen, die diese ultima ratio moralisch verpflichtend gebieten, ihre Nichtergreifung moralisch verwerflich machen: zum Verbrechen nicht nur an den Verratenen, denen wir den Beistand versagten, sondern in letzter Konsequenz an uns selbst. Wenn aber solche Situationen eintreten, koennen nicht ausgerechnet wir Deutschen unter Hinweis auf unsre Vergangenheit abseits stehen. Diese Vergangenheit ist Verpflichtung, nicht bequemes Privileg. Die Rolle der Dichter bei all dem? Nun, ich glaube, dass man nicht schreiben kann, ohne gesellschaftliche Verantwortung zu uebernehmen - schmieren schon. Das eben ist der Unterschied zwischen Geist und Zeitgeist. Es gibt nicht den poetischen Bezirk, der vom Politischen unbehelligt waere - das ist Kleinbuergerkitsch. Vielmehr ist das Poetische seiner Natur nach das Politische. Dichtung ist keine Dekoration aus Woertern, sondern Arbeit an der Kultur. Reife und Hoehe dieser Kultur erweist sich aber nie so deutlich, wie in der politischen Krise. Nur Barbaren schauen peinlich beruehrt weg, wenn ihre Nachbarn wegen "falscher" Religion, Nationalitaet, Hautfarbe oder sonst was gebrandschatzt, vergewaltigt, vertrieben und ermordet werden.

Zur Internet-Publizistik: Ich glaube nicht an eine kuenftige Netz-Literatur. Gedichte werden auch in Zukunft am Schreibtsich gemacht und auf Papier gedruckt werden. Das Medium Internet eignet sich vor allem zur Beschleunigung und Demokratisierung des Diskurses - dafuer allerdings hervorragend.  NULL scheint mir dies sehr schoen zu zeigen: Hoehepunkt war fuer mich eindeutig die politische Polemik; die literarische Ausbeute kann dagegen kaum mit herkoemmlichen Literaturzeitschriften mithalten.