Frage

Lieber Joachim Helfer, was halten Sie von den neuesten Hypes in der Szene daheim? Gibt es die ausgerufene neue,junge, erfolgreiche deutsche Pop-Literatur?

Antwort

Die herrschende Spass- und Eventkultur moechte die Literatur logo gern schlucken und so unschaedlich machen. Nur wird ihr das nicht gelingen, indem sie solche Autoren hyped, die da reinpassen, da mitschwimmen moechten. Trivialen, affirmativen, konventionellen kommerziellen Schund hat es schon immer gegeben, und er hat sich (durchaus zu Recht!) zu allen Zeiten auf der Hoehe des Zeitgeists gewaehnt. Jedes Wort ueber diese albernen Strategien der Ueberbietung und Unterbietung mit dem Ziel: Wie mache ich moeglichst viel Laerm um mich, also nichts - waere verschwendet. Aber diese Bubis von KIWI und diese krachledernen jungen Berlinerinnen sind ja nicht DIE Junge Deutsche Literatur. Da gibt es doch lesbare (!) Buecher, die man nicht leichtfertig abtun sollte. Ein Ingo Schulze oder eine Judith Hermann sind erfolgreich UND gut. Und natuerlich hat ihr Erfolg mit der Zugaenglichkeit ihres Schreibens zu tun. Hier vollzieht sich im Wechsel der Generationen m.E. auch eine echte Erneuerung der Literatur: weg vom nur noch universitaer zerquaelten, von den frischen Lebensquellen der historischen Avandgarde laengst voellig abgeschnittenem, nur noch welt- und erfahrungslosem Gestammel der 80er zum Erzaehlen - wobei die Geschichte lehrt, dass solche Erneuerungen nach Sackgassensituationen noch immer ueberden Rueckgriff auf Tradition und, ja, Konvention, funktioniert haben. Ich jedenfalls begruesse diesen Wechsel hin zum Erzaehlen: nicht in naiver Verkennung, sondern in trotziger Verneinung der Unmoeglichkeit, zu erzaehlen. Daneben gibt es natuerlich juengere Autoren, die einfach IHR Ding machen, und auf hoechstem Niveau viel zu eigen sind, um in solchen Diskursen eingeordnet zu werden: Marcel Beyer, Norbert Gstrein, Perikles Monioudis, Peter Weber, Norbert Niemann um nur einige zu nennen. Wieder etwas anderes ist es mit der PoP-Literatur: Da gibt es eine Fraktion um Rainald Goetz und Andreas Neumeister, die nun gerade sehr artifizielle, hochreflektierte Schreibansaetze, in lebendiger (anders als die zombiehaften Epigonen der Wiener Schule ...) Nachfoge und Weiterentwicklung der klassischen Avandgarde verfolgt. Da wird, ganz gegen den spassgeilen Zeitgeist, tatsaechlich versucht, die Bedingungen dieser Spassgeilheit zu sondieren. Alles in allem gibt es eine in der Spitze gute, junge deutsche Literatur. Das Geroell an der Pyramidenbasis tangiert sie nicht. Wenn aber der zeitgenoessische Schund Erfolg hat, so ist dieser Erfolg, jeder Erfolg fuer deutsche, nichtuebersetzte Literatur, auch wichtig und hilfreich fuer diese Spitze. Es geht doch im realen Buchmarkt nicht um die Frage Sekt oder Selters, sondern laengst um die Wurscht: Wird es zukuenftig noch eine deutsche Literatur geben - markttechnisch?