Inhalt Kumulation Betrieb # 1 Borges & Co. Betrieb # 2 Literatur etc.

Betrieb # 1: Ökonomie der Aufmerksamkeit

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Will man die Geschichte der digitalen Literatur der 90er Jahre erzählen, dann nur als Geschichte der Kurzatmigkeit und Atemlosigkeit, als Geschichte des Versuchs, die überzogenen Ansprüche zu erfüllen.

In dem Vorwort zu der Gedicht-Anthologie "Das Wasserzeichen der Poesie" heißt es: "Wenn es nach der Zahl der Produzenten ginge, wäre die Poesie ein Massenmedium. Das Verlangen, Gedichte zu schreiben, ist ungebrochen: ein heimliches Laster, das nach Öffentlichkeit giert." und weiter unten: "Schreiben wollen sie alle, aber lesen?" Das gilt nicht nur für Poesie, sondern für jede Art von Literatur.

Dieses quantitative Gefälle zwischen Produktion und Rezeption wird durch den sogenannten "Betrieb" reguliert. Geht man davon aus, daß es so etwas wie "Netzliteratur" - also ein Internet-Äquivalent zu der in den Printmedien verbreiteten Literatur - gibt, dann stellt sich die Frage, ob es auch da einen solchen Betrieb gibt und wenn ja, wie sich dieser Betrieb von dem etablierten Literaturbetrieb unterscheidet.

Bei den Printmedien steht als Regulierungsbetrieb zwischen Produktion und Publikation das Lektorat oder eine Redaktion: die Texte erfahren nach Kriterien - die nicht unbedingt ästhetische sein müssen! - eine Bewertung, die über die Möglichkeit einer Publikation entscheidet. Seit einiger Zeit kann man diesen Betrieb, was die Selektion betrifft, umgehen: mit "Book on Demand" ist eine Publikation zu relativ geringen Kosten, ISBN-Nummer inklusive, ohne die Selektion durch Agenten, Verlage etc. für jedermann möglich.