Im
Blick hatte Idensen vor allem jene Internetprojekte, in denen
die Texte nicht von einem Autoren allein geschrieben wurden,
sondern von vielen, weltweit miteinander verknüpften Computernutzern,
die ihre Arbeit als Work in Progress verstehen wollten. Dazu
gehörten für ihn die Free for All-Pages, die man im World
Wide Web ansteuern konnte und auf die sich jeder mit beliebigen
Texten eintragen durfte. Dazu gehörte etwa auch solch kooperativer
Schnickschnack wie der im Netzwerk erstellte längste Satz der
Welt, dem jeder Leser noch etwas anhängen durfte. Und dazu gehörten
schließlich Projekte, die einen ambitionierteren literarischen
Anspruch verfolgten: Tree-Fictions, in denen Erzählungen
von wechselnden Autoren immer weiter verästelt wurden; Add-Ventures,
die im Netz die Tradition der digitalen Textabenteuer fortführten,
indem man gemeinsam Märchenwelten entwarf, erweiterte und durchstöberte;
komplexe Textnetze wie das Hypertext-Hotel, das von der
amerikanischen Brown-University aus unterhalten wurde. Als Literatur
entdeckt hat Idensen aber auch die sogenannten MUDs, die Multi-
User Dungeons. Das waren Textwelten, in denen sich verschiedene
Leute zur gleichen Zeit von ihrem eigenen Computer aus verbinden
konnten, um sich online zu treffen und gemeinsam durch die verschiedenen
virtuellen Räume zu bewegen. Diese MUDs wurden als eine Art
Echtzeit-Literatur begriffen, die alle bisherigen Definitionen
von literarischen Texten zu sprengen drohte. Denn diese Literatur
fand immer und immer jetzt statt, sie wurde von
unzähligen, interagierenden Autoren gleichzeitig geschrieben
und sie eröffnete zugleich allen Lesern als Schreibern die Möglichkeit,
sich selbst in den Text hineinzuversetzen und in ihm eine beliebige
Rolle zu spielen.
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