Da war eine Begeisterung wie auf dem Jahrmarkt. Ein "Wow" und ein "Echt super" riefen alle aus, die auf dem Fahrrad saßen, und hin und wieder auch: "Das isses." Was isses? Jeffrey Shaws lesbare Stadt schien 1989 auf geradezu wunderbare Weise das Versprechen der neuen, der kommenden Literatur zu verkörpern. Denn das würde eine Literatur sein, die man in den Computer hineinschreibt und die nur noch am Bildschirm gelesen werden kann. Und mehr noch. Sie würde Perspektiven eröffnen, die noch kein einziges Buch geboten hatte. Endlich würde man zwischen den Zeilen lesen können, indem man einfach zwischen ihnen hindurchfuhr. Endlich konnte man im Text sein, statt aussen vor zu bleiben. Und der Leser durfte vor allem eins: selbst bestimmen, wo es langgeht. Musste er in Büchern nicht der einen Linie folgen, die der Autor durch die Seiten vom Anfang bis zum Ende gelegt hatte? Musste er sich nicht von ihm lenken lassen, sollte der Sinn des Textes voll und ganz verstanden werden? In der lesbaren Stadt aber, durfte der Flaneur an jeder Kreuzung entscheiden, wie weiterzukommen sei: "Einen bestimmten Weg einzuschlagen bedeutet, bestimmte Texte auszuwählen und spontane Kombinationen herzustellen" kommentierte Shaw den interaktiven Prozess. "Die Identität dieser neuen Städte entsteht somit aus dem Zusammentreffen der Bedeutungen, die diese Worte evozieren, während man sich frei durch den virtuellen Stadtraum bewegt." (1) Selber machen, selber fahren, selber schreiben, "das isses", das musste die neue Literatur sein, die nicht mehr auf Kontemplation angelegt ist, sondern auf die Erlebnissteigerung, auf die Steigerung von IpMs - von Interactions per Minute, die, wie der Medientheoretiker Florian Rötzer schrieb, "den distanzierten Zuschauer und Zuhörer immer weiter in das mediale Geschehen, in die Medienwirklichkeit hineinziehen, was letztlich heisst, dass der Benutzer nicht mehr nur Abnehmer, Rezipient oder Konsument eines massenmedialen Produkts ist, sondern in das System als aktives und vor allem individuiertes Element integriert ist". (2)


(1) Jeffrey Shaw: The Legible City - Die lesbare Stadt 1988-91.
In: Jeffrey Shaw eine Gebrauchsanweisung. Vom Expanded Cinema zur Virtuellen Realität, hrsg. vom ZKM/Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe, Heinrich Klotz und Peter Weibel, Karlsruhe 1997, S. 128.

(2) Florian Rötzer: Interaktion das Ende herkömmlicher Massenmedien.
In: Kursbuch Neue Medien. Trends in Wirtschaft und Politik, Wissenschaft und Kultur, hrsg. von Stefan Bollmann, Mannheim 1995, S. 57-78, hier: S. 69.