Kein Härchen ergraue dir unter der Hennapampe,
bleibe einbalsamiert in deiner Schlaghose, ruhe friedlich in unserer
Frühzeit ... Pinsel und Stifte schwebten einen Moment lang
untätig in der Luft, während wir still die Grimassen unserer
Spiegelbilder beobachteten. Das Echo unserer Stimmen klang schrill.
Erdmute, die Tote, hatte
mit ihrer Tat fast nur die Jungen erobert. Bis auf Achim. Bedächtig
und apodiktisch und nur, wenn man ihn fragte, hatte er damals den
Fall kommentiert und den Mädchen recht gegeben. Seine psychologischen
Gutachten bescheinigten der Selbstmörderin, sie hätte,
statt zu sterben, ihr "Potential" zum Überleben nutzen können.
Damit meinte er die rebellischen Eigenschaften, die er an ihr beobachtet
hatte - dieselben, die mich wiederum bewogen, mich Erdmutes männlichen
Fans anzuschließen und ihre Konsequenz zu bewundern. Erdmute
hatte sich selten hervorgetan, selten war sie frech, nie böse
oder unverschämt, aber sie hatte auch nicht zu den sogenannten
Braven gehört. Die Art, wie sie sich beteiligte oder nicht
beteiligte, hatte etwas Unbekümmertes, unschuldig Schamloses.
Einmal, als wir abends am Baggersee nackt badeten und uns schnell
und forsch voreinander auszogen, war sie die einzige, die nicht
ins Wasser ging. Sie zog sich nur die Schuhe aus und malte mit den
Zehen eine ihrer Labyrinthzeichnungen in den Lehmboden, wie sie
auch ihre Schulbank schmückten. Darin lag keine Koketterie,
und so störte sie niemanden, und niemand störte sie.
Auch hatte sie nie damit
aufgehört, auf die Kastanie zu klettern. Das vom Hausmeister
streng verbotene Kinderspiel, das der Bau der Rundbank hatte verhindern
sollen, schließlich aber erleichterte, trieb sie bis zum Schluß.
Die Kastanie war unlösbar mit Erdmutes Ende verbunden. Allerdings,
wenn ich versuchte, mir die Tote vorzustellen, drängte sich
stets das unschuldige Bild dazwischen, das mir auch jetzt wieder
einfiel: wie sie mit eingehängten Kniekehlen kopfüber
an einem der unteren Äste baumelte, die kurzen Haare schüttelte
und, statt das herabgerutschte Hemd über den völlig entblößten
Oberkörper zu ziehen, die Arme schwingen ließ. Der Einfall,
sich umzubringen, war fast dasselbe - ein Experiment, weder kindisch
noch erwachsen, eine Provokation. Zu den Provozierten wollte ich
nicht gehören. Deshalb gab ich Erdmute meine Zustimmung. Die
Entscheidung beruhigte mich. Sie hielt die Frage von mir fern, was
eigentlich im Moment der sogenannten Tat eingesetzt hatte, abrupt
und dann endlos - kein Nichts, sondern irgend etwas furchtbar Neues:
Dauer oder Raum, schwarz auf jeden Fall
denn diese Frage
machte mich schwindlig. Weder Zustimmung noch Ablehnung reichten
dorthin, wohin sie führte. Wahrscheinlich wurde deshalb auch
nicht darüber gesprochen.
Bloß nicht zu viel
Rouge. Was fehlt noch? Walter erledigt und Wilfried in die Ecke
gestellt, Ina zur Privatgelehrten mit häufig wechselndem philosophischen
Verkehr gemacht und Helga und Daggi zu ewiger Familienhaft verurteilt.
Bine Maja kam auch noch an die Reihe, doch zu der fiel mir lieber
nichts ein.
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