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Das war, bevor bei Eduscho die Aschenbecher aus dem Verkehr gezogen wurden, als ich schon rauchte und Katja noch nicht. Auf drei Zigaretten kam ich immerhin zwischen viertel vor und fünfundzwanzig nach acht. Weißt du noch, sagte ich, wie wir vor dem Lehrerparkplatz, wo die Alten standen und qualmten, gewartet und den Referendar Stefan abgepaßt haben, deinen Stefan, wenn er mit dem zweiten Klingeln in seinem Käfer anrasselte? Wie du mich unbedingt brauchtest, damit ich dich bei deiner Liebesmüh' begleitete? Wußte sie. Und daß wir ihn dann in die Mitte nahmen, während er, die bescheuerte Plastiktasche mit dem langen Riemen über der Schulter, zum Biotrakt stürmte - eine Hand um dich, die andere um mich gelegt, der Kinderschänder! -, daran erinnerte sie sich ebenfalls. Aber du und der gute Herr Marthaler, na, weißt du noch, Talerchen, nein! nein! Ein Weißtdunoch jagte das andere, und wir schüttelten uns und bespritzten einander damit wie Kinder im flachen Wasser, Katja endlich mal ohne gute Argumente. Wir gerieten weiter und weiter hinaus, bis wir uns unversehens in dem anderen Element wiederfanden, dem alten, unsicheren, wo man nicht weiß, was war, sondern fragt, was wohl sein wird in zwanzig Jahren - also heute: Science-fiction eben.
        Katjas Lider glänzten himmelfarben. Meine waren dunkelgrün. Die Lippenstifte lagen am Rand, noch immer blieb das Mundwerk von der Maskerade ausgespart. Wir kreuzten die Blicke im Spiegel und prüften, diesseits, das Ergebnis: Zieh den unteren weiter nach außen. Mach es innen dunkler. Sag du! Was versprichst du dir? Ich mir? Daß Ina Falten hat und Petzi eine Perlenkette trägt und Helga eine Dauerwelle? Wir klecksten, wir malten aus, wir erfanden Kinder, Bausparverträge, Verfettungen, trostlose Abstiegs- und noch trostlosere Erfolgsgeschichten. Ich griff nochmals zum Stift und zog die Wimpernumrandung nach, grimmig und fett. Renate ist sicher in Münster geblieben. Und Achim hat eine Laborantin geheiratet, wetten?, ist überarbeitet und liest trotzdem gute Literatur. Einwurf von Katja: Und deine Gedichte. Ich: Hör bloß auf! Und vor allem: fang nachher erst gar nicht davon an, versprochen? Die sind mir zu schade, und außerdem nicht gut genug. Sie: Was denn nun? Aber ist ja gut! Weißt du eigentlich, ob Gisela immer noch in Berlin ist? Ich: Ich dachte Spanien? Wir wollten den Traumgestalten den Rest geben, bevor wir den Überlebenden begegneten. Wir wollten keine Überraschungen. Christiane hat eine Kneipe aufgemacht, Quatsch, die ist eher ausgewandert. Sag ich doch. Matze hat immer noch, nein: wieder lange Haare. Tobias sind sie ausgegangen. Und weißt du noch, wie er zum Geburtstag gleich drei Nagelknipser bekommen hat? Hotschi kann es nicht bis heute durchgehalten haben. Den wird man wohl besuchen müssen. Bloß wo? Psychiatrie, schlug Katja vor. Ich: Knast, oder Friedhof. Jedenfalls: Hotschi bleibt nur Hotschi, wenn er nicht erscheint. Und wir legten ein paar Gedenksekunden für Erdmute ein (Pulsadern, meinte Katja, nein, erhängt! da war ich sicher; das sowieso, sagte sie, und wir einigten uns auf beides auf einmal). Vielleicht ging uns in diesem Moment derselbe Nachruf durch den Kopf: Erdmute, die du uns nicht enttäuschen wirst, einzige Übriggebliebene, treue, unzerstörbare Erdmute; schade, daß du uns so wenig bedeutet hast.

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