Ach, Schule! Bloß ein Wort, der Name
für eine Zeitspanne und ein paar Nöte, die der Erinnerung
eine herablassende Rührung, ein ungeduldiges Bedauern abringen.
Und, ab und zu, eine zaghafte Sehnsucht nach den Bequemlichkeiten
des Gegängeltwerdens, den Entlastungen der Zensur, der herrlichen
Klarheit der Vorschriften. Die hielten das Denken, dieses ausufernde,
ungebärdige, wild herumwünschende Element, wenigstens
während der Vormittagsstunden in berechenbaren Bahnen. Seit
ich meine schriftlichen Hausaufgaben hier und da auf dem Markt anbot
und als freie Dienstleistung an Leute verkaufte, die ich kaum je
zu sehen bekam, fehlten mir die Richtlinien, die sauberen Kriterien.
Meine Gutachter waren keine Beamten, sondern Angestellte; ihr Gehalt
war fest, ihre Meinungen schwankten. In ihren Redaktionen und Pressestellen
dachten sie sich jeden Tag neue Regeln aus. Mal gaben sie sich kurz
angebunden, mal kumpelhaft, doch in jedem Fall raunten sie bloß,
und die Schlußfolgerungen ließen sie offen. Wie oft
hatte ich mir anfangs, wenn ich meine Worte ins Blaue hinein setzte,
den freundlichen Rotstift zurückgewünscht!
Mir tönten die Adjektive
im Ohr, die Katja so kämpferisch aneinanderreihte, schrecklich
und furchtbar und grauenhaft, und ich empfand wieder Spuren dieser
Sehnsucht und die Ahnung, daß ich schon zu Schulzeiten eher
mit der beginnenden Freiheit zu kämpfen hatte als um sie. Eine
Freiheit, die immer weitergewachsen war, bis zu diesem Moment, in
dem ich mir wünschte, von einem Erziehungsberechtigten zu der
bevorstehenden Veranstaltung geschickt zu werden - mochte ich auch
diesmal Make-up statt Clearasil im Gesicht tragen und eine joviale
Empfangsstimmung das Ereignis einläuten, nicht die Schulglocke.
Lieber Unterwerfung, dachte ich, als das Eingeständnis, freiwillig
fünf Zugstunden weit gereist zu sein, freiwillig Kinn und Nasenrücken
zu pudern. Aber da war keiner, der uns befahl, in einer Stunde zwanzig
Kilometer weiter im Waidmannsheim, oder wie dieses Lokal auch immer
hieß, zu erscheinen. Oder? Wie immer klumpte die Wimperntusche
am Ende des Bürstchens. Wer zwingt uns? Vorsichtig schielte
ich unter dem beiseitegezogenen Augenlid zur Seite. Katja fiel auch
niemand ein. Also schlug ich ihr vor, zusammen ins Kino zu gehen:
Warum gucken wir uns nicht einen schönen Science-fiction-Film
an? Bitte!
Dabei wußte ich
natürlich: Es war zu spät.
Ob ich etwa blau machen
wolle, fragte Katja zurück, hob lächelnd den mit Lidschattenblau
gefärbten Zeigefinger und fing mit dem Weißtdunoch an:
Weißt du noch, wie ich dich immer am Busbahnhof abgeholt habe,
und dann sind wir zu Eduscho abgebogen und haben die erste Stunde
geschwänzt? Wußte ich noch. Auch, daß wir uns den
zweiten Dreißigpfennigkaffee holten, bevor die Opfer der Frühstunde
den Tresen stürmten, unser Tischchen belagerten und unser Kichern
und Flüstern mit Spottklagen über Hofstatter, Braunig
oder Fräulein Stadler ablösten.
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