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Bisher hatte ich immer genügend Eigenschaften an ihr gefunden, die denen entgegengesetzt waren, die ich für mich reserviert hatte. Katja war für das Gute, Vernünftige zuständig. Sie sollte Stellung beziehen, wo mir eine flüchtige Meinung reichte. Sie sollte treuherzig bleiben, damit ich zynisch sein konnte (und Katja war tatsächlich die einzige, die mit meiner Kratzbürstigkeit zurechtkam). Daß sie eine Weltläufigkeit genoß, die ich mir selbst wünschte, trieb mich eine Zeitlang in die Enge. In meinen Träumen mußte ich sie immer wieder von den Kontinenten verscheuchen, auf denen kein Platz für uns beide war. Erleichtert kam ich schließlich zu dem Ergebnis, daß Katja strebsam war, eine Pragmatikerin eben, ich dagegen eine Traumtänzerin. Ich machte die Bücher, sie die Werke: für sie die Wirklichkeit, für mich die Hirngespinste. Das war nur ein geringer Trost und kein Ersatz für Hongkong oder Simbabwe, aber dafür mußte Katja eine gewisse Biederkeit in Kauf nehmen, Biederkeit nach außen hin und im Privaten Treue, während ich - Christoph war der letzte, der sich daran die Zähne ausgebissen hatte - nichts so sehr fürchtete wie eben …
        Solange unser wackliges Verhältnis auf diesen symmetrischen Unterscheidungen ruhte, blieb es im Gleichgewicht. Das war nicht immer so gewesen. Mit dem ersten Einverständnis hatte die Eifersucht begonnen. Kaum teilten wir die Schulbank, da verwandelten sich ihre kleinen runden Tintenbuchstaben in meine schräg-steilen. Dieser Diebstahl war noch viel schlimmer als die spätere Tobiasgeschichte, denn er ließ sich nicht beweisen, und natürlich bestritt Katja beim peinlichen Heftevergleichen, daß sie meine Handschrift imitierte. Später konnte ich ihr nur schwer verzeihen, daß sie auch mit dem Rauchen anfing, zumal in der Übergangszeit, als sie bei mir schnorrte. Jedesmal, wenn ich ihr das Päckchen Halfzware reichte, empfand ich den Verlust. Katja nahm mir etwas weg, ohne daß ich mich wehren durfte. Der einzige Ausgleich war ihr Ungeschick beim Zigarettendrehen. Die Schulzeit war lange vorbei, da war sie es, die kaum ertrug, daß ich mich für eine Weile in der Nähe ihres - ihres! - Dorfes in Südfrankreich aufhielt. Doch dann wurde ihr Frankreich zu klein; sie reiste, bis sie heiratete und ihre Kanzlei aufmachte, in der Welt herum, während ich bloß von Frankfurt nach Hamburg zog, halbherzig herumstudierte und die Welt von einer Seite kennenlernte, die auf keine Ansichtskarte, in keinen Brief paßte. Da begannen wir endlich, unsere Verschiedenheit zu pflegen.
        Mit der Zeit mußte ich jedoch feststellen, daß ich nicht mehr so argwöhnisch über meine Einzigartigkeit wachte. Vielleicht, weil ich ahnte, daß Katja daran lag, auf ihre eigene Weise in die gesellschaftlichen Höhen zu gelangen, aus denen ich … aber hatte ich je den Wunsch gehabt abzusteigen? Den Dünkel hatte ich ja in meine so bescheidene wie komplizierte Lebensanordnung mitgebracht; offenbar hatte er sich in den Ehrgeiz verwandelt, mit so wenig Geld und Anerkennung als möglich auszukommen, ja mir die einfachste Anerkennung heimlich zu beschaffen und bezahlen zu lassen, bar auf die Hand. Ich wollte den Reichtum unsichtbar machen, in Kunst verdampfen, in Gedichten verschlüsseln oder mit
der eigenen Haut verdienen - jedenfalls nie wieder in einem goldenen Käfig leben.

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