zurück 2/11 weiter


       Dabei standen wir nicht zum ersten Mal als Erwachsene zusammen an einem Waschbecken. In der brüllend heißen Dachwohnung in München, wo ich sie ein paar Tage bei ihrem Zukünftigen besucht hatte, zankten wir uns sogar im Badezimmer, bis der Spiegel einen Sprung bekam, weil ich den Streitgegenstand dagegenwarf, einen schweren altmodischen Naßrasierer, den ich heimlich für meine Beine benutzt hatte. Ertappt und wütend wie ich war, begriff ich doch sofort, daß ihre Empörung nicht so sehr der Tatsache galt, daß ich Schaum und Klinge ihres Geliebten zweckentfremdet hatte: Katja litt unter der schmerzlichen Erkenntnis, daß ich solche Weibermätzchen mitmachte. Hinterrücks war ich anders geworden als sie. Zehn Jahre war das ungefähr her. Und jetzt überrumpelte sie mich damit, daß sie nicht anders war als ich! Seelenruhig hatte sie die Kappen von allen meinen Kajal- und Konturstiften gezogen, die ich zwischen dem Zahnputzbecher und dem Rosenwässerchen ihrer Mutter auf den Porzellanrand gelegt hatte; jetzt waren die Lippenstifte dran, und sie malte Probestriche auf ihren Handrücken, während ich die Creme auf der Haut verteilte.
        Nie hatte ich Katja geschminkt gesehen, und da ich es nicht erwartete, hatte ich es auch nie vermißt. Möglich, daß ich ein fröhliches Anwältinnenblau um die Wimpern übersehen hatte. Vielleicht hatte ich auf dem einen oder anderen Empfang in ihrem Haus einen Kunstglanz auf ihren Lippen mit dem Widerschein des üppigen Kerzenlichts verwechselt. Ich erinnerte mich jedenfalls nur an lackierte Holzohrringe in Papageienfom - und an die zum Gastgeberton erhobene Stimme. An etwas Ungläubiges darin, als wollte Katja es nicht wahrhaben, daß Fleiß und die richtige Gesinnung mit Reichtum belohnt werden können; daß sich das Elend ihrer armen, hauptsächlich weiblichen Mandanten, oder vielmehr ihr Engagement (Katja verwendete dieses Wort) gegen dieses Elend in Sektflöten und Tiffanylampen verwandelte. Die Lampen in meinem Elternhaus waren älter und schöner. Vielleicht hingen deshalb in jeder meiner späteren Wohnungen nackte Glühbirnen an den Decken. Als Katja schon in ihrem Haus an der Isar wohnte, hatte ich mich immer noch nicht von den Achtzigern, meinen Zwanzigern, verabschiedet: Ich benutzte weiterhin grüne Wimperntusche, machte weiterhin Schulden und zerstritt mich mit Arbeitgebern und Männern. Christoph, der letzte, hatte einmal von sinnlosem Gefuchtel gesprochen - und damit meinte er nicht nur meine abrupten Bewegungen. Katja dagegen hatte es weit gebracht, mit klaren Gesten und guten Argumenten, die jede überflüssige Körpersprache ersetzten. Schon als sie mit Tobias anfing, hatte ich mich gefragt, ob bei ihr wohl das Küssen eine Fortsetzung des Diskutierens sei, freundlich und beherrscht - und an dieser Frage hatte sich bis zu ihrer Münchner Errungenschaft nichts geändert.
        Ich streifte den Make-up-Rest von der Tubenöffnung und verrieb ihn im Ausschnitt. Nebenbei registrierte ich, welche Farben sich Katja zurechtlegte, Blau, Magenta, und überlegte, ob wir uns inzwischen ähnlicher geworden waren.


zurück Autorin Seitenanfang weiter