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Maske (Prolog):

Also Augen auf und tapfer nach vorn gerichtet.
       Das Bild ist verschattet. Der Spiegel könnte glatt ein Fenster sein; der Raum darin ist dämmrig, und die Gestalt, die mir aus der Tiefe zwischen Seifenspender und Händetrockner entgegenschaut, reichlich zerfleddert. Die Bluse hängt lose von den Oberarmen. Die Haare sind zerzaust, schwarze Flecken um die Augen lassen das blasse Gesicht löchrig erscheinen. Im Souterrainfenster über den Kabinen ein fahler Schimmer, der von den Kacheln widerscheint. Das ist meine Welt, und im Spiegel bin ich, ob ich will oder nicht.
        Ich will nicht. Und ich werde mich hüten, das Licht wieder anzumachen, das weiße Neonlicht. Meine Pupillen sind geweitet. Hinterm Brillenrand sinkt müde Lidhaut von den Brauenbögen, von den inneren Augenwinkeln neigen sich geschwungene Kerben, Gräben führen von Nasenflügeln zu Mundwinkeln, Schattentäler liegen rechts und links unterm Jochbein. Das alles ist echt. Vom Falschen nur noch Reste, die dunklen Halbkreise, in die der untere Lidstrich ausgefranst ist, die von den Wimpern geregneten Tuschepartikel und die Lippenstiftkleckse um den Mund, wie bei einem Kind, das zu gierig in ein Marmeladenbrot gebissen hat.

       Davor, oder dahinter, als noch vor mir lag, was jetzt hinter mir liegt, hängt ein anderer Spiegel. Rund zehn Stunden ist es her, zu lang und zu kurz, um mich zu erinnern, welche Form er hatte; zweiteilig war er auf jeden Fall. Rechts ich, links Katja, in der Mitte Lidschattenpaletten, Make-up-Tuben, Brauen-, Kajal- und Lippenstifte: Wer denkt da schon an Nachtschatten, an Krähenfüße und Tuscheschlieren? Katja und ich, wir dachten an alles mögliche andere, und vieles davon dachten wir laut.
        So hatte ich mir das allerdings nicht vorgestellt. Zuerst wollte ich dem bevorstehenden Ereignis keinen weiteren Handgriff mehr widmen als nur ein schnelles Durch-die-Haare-Fahren. Plötzlich aber kam ich mir nackt vor und hätte mir am liebsten einen Hut aufgesetzt. Ich beschloß, mich noch ein bißchen anzumalen. Also stahl ich mich aus Katjas Jungmädchenzimmer, in dem ich früher so oft übernachtet hatte, und ging ins Bad. Und da platzte sie herein und machte sich über mein Schminkzeug her. Eigentlich fing unser Versteckspiel schon in diesem Moment an, als mir die älteste Freundin ein unbekanntes Gesicht zeigte - das einer Frau, die sich schminkt. Fast war ich ein bißchen beleidigt. Schließlich hatte ich Katjas Leben - die allmähliche Verwandlung einer Fünfzehn- in eine Vierzigjährige - als Augenzeugin verfolgt. Ausgerechnet jetzt wurde sie mir unheimlich.

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