zurück zu dahinter: Interview: E. Maas / P. Wawerzink
anläßlich eines Katalogs zu einer Ausstellung in Halle.
 

M: Welchen Stellenwert haben die Zeichnungen von BAADER, verglichen mit seinen Texten? Wie sind sie zu sehen?

W: Die hat er doch gemacht, wenn er alleine war, Einsamkeitswiesen zu beackern hatte mit seinen schweren Sehnsuchtsgäulen.

M: Damit hat er nie was vorgehabt, ausstellungsmäßig?

W: Nein, nie. Das war eine Art Abarbeitung. Das waren Zeiten, da hat er nicht rumgesoffen, nicht rumgehurt, da hat er gesessen und gezeichnet. Zum Ausstellen war das nie gedacht.

M: Dann sollte man das auch nicht tun, oder?

W: Das ist ja so wie'n Privatfoto von Mick Jagger, das wird ja auch ausgestellt. Die Welt ist eben so, weißte ja, die will ja immer an die Schleckerchen, an die Leckerhappen. Na, und dann sieht man den Zeichnungen diesen intimen Aspekt ja auch nicht an; er hat ja auch reingeschrieben. 
Einen Satz von Zeichnungen hat er zum Beispiel nach der Trennung von Shadia gemacht, als die ihn schnippisch wie ein achtjähriges Mädchen verlassen hat. Nachdem sie noch zwei Wochen versucht hatten zusammenzuleben, hat er dann im größten Frust nicht Illustrations-, sondern Frustrillationsarbeit gemacht. So sind die Zeichnungen entstanden. Wahrscheinlich hat er bei jeder Linie immer wieder neu nachgedacht; damit hat er ganze Nächte zugebracht, dagesessen und ganz langsam die krakeligen Linien gezogen. Ich weiß ja auch nicht, wahrscheinlich sollte man das nicht ausstellen, die Zeichnungen wurden ja nur GEMACHT. Die sind ja auch teils so klein gemacht worden, daß sie ausstellungsunwürdig sind, da könnte man ja gleich eine Briefmarkenausstellung machen.

M: Da gibt's ja auch noch die farbigen, größerformatigen Zeichnungen, die er wohl früher gemacht hat, und die er sogar teils in seiner Bude in Halle hängen hatte.

W: Na ja, aber die späteren Zeichnungen sind eben intimer Art gewesen - und das andere, was er wollte? - na sicher, Grafitti und sowas, diese ganze Scheiße, die da gemacht wurde, das hat ihn immer interessiert, aber ansonsten hat er nicht - höchstens mal'n Plakat für ne Demo, oder besser gesagt, wenn er Geburtstagsgeschenke gemacht hat, hat er ja immer solche Plakate - hat er großes Papier genommen und dann mit seiner Handschrift, verstehste, seine Schrift zur Zeichnung gemacht.

M: Kalligraphisch?

W: Nee, das nicht, aber sicher hat er schon gewußt, daß seine Schrift, das sein SchriftBILD durchaus auch ein Bild ist. SO ist das ein Ausdruck gewesen. DA hätte er ein Künstler werden können, wenn der, sagen wir mal, eine Werbefläche zur Verfügung gehabt hätte, wenn so ein BAADER mal beauftragt worden wäre, so ein Ding voll zu machen - nur für sich, für seine Texte zu werben - da hätte er schon mal mehrere Tafeln gefüllt.

M: Hat er sich ansonsten für Malerei, Zeichnung, also bildende Kunst interessiert? Oder ist ihm das gleichgültig gewesen?

W: Nee, hat er eigentlich immer drüber gelacht, über alle. Ich wüßte auch niemanden, den er - doch den Diller, aber der ist ja leider jetzt auch bei einem Unfall umgekommen - ich glaube, daß er den Diller - aber da waren's wohl auch nicht die Zeichnungen, sondern die guten Parties, die der gemacht hat, die den BAADER - wo du noch Weinflaschen mit nach Hause nehmen konntest - was den BAADER, da hat er dann gesagt: "Der Diller, der macht gute Zeichnungen." Aber ansonsten? Ich glaube der Obersatz blieb dabei immer noch: "Oh Gott, was machen die alle." Das war der Hauptsatz, glaube ich. Also ich kann mich noch daran erinnern, daß er irgendwie rumgerannt ist, von Polizisten angehalten wurde und so weiter und so weiter, und die ihn gefragt haben: "Können Sie sich nicht vorstellen, warum Sie angehalten wurden? Na ja, Sie sind überangezogen". Und dann ist er zum Nationalmuseum, oder wie das heißt, gegangen, und die an der Kasse sagte: "Sie können heute umsonst rein." Ja und da hat er einen Lachanfall gekriegt, so wie er es geschildert hat, also: Heut ist Tag der Künste, und da hat er gesagt: "Da geh ich ooch mal Bilder angucken."

M: Aber immerhin nennt er in seinen Texten ja z.B. Fettecken, Rauschenberg usw. - mehr fällt mir jetzt nicht ein.

W: Gekannt hat er das alles. Aber in diesen speziellen Fällen hat ihn interessiert, daß die reich damit geworden sind, und daß da so'ne Art Aufdringlichkeit dieser Künstler da war, daß sich auch ein BAADER damit beschäftigt hat. Also wenn wir an irgendne Tür gekommen sind, wo irgendwas drangemalt war, hatte er schon immer diese Haltung, die einzutreten oder völlig zu belachen. Der kannte schon ein paar Künstler, die hat er auch mit reingenommen, aber ich bin ganz fest überzeugt, daß er von denen nichts hielt, weil sie für ihn eher so'ne Art Karnevalsausstatter waren. Einen hat er gemocht, das war der Björn aus Halle, der hat Fotos gemacht, und der hat die Fotos so gemacht - weil der immer stinkbesoffen war, ooch mit der Blende, und der mußte immer noch drehen an seinem alten Modell, um alles einzustellen - hat der so schöne unscharfe Fotos gemacht; da war BAADER irgendwie gleich begeistert von Björn. Ich glaube, was ihm bei den anderen gefallen hat, waren die Ateliers, die Knete, die die hatten, die Feste und Parties, ja, und auch die Summen, die sie ihm geliehen oder geschenkt haben.
Ich weiß noch, daß wir mal in Leipzig waren, in dieser Moritzbastei, und da sind Dinge ausgestellt gewesen, es ging um irgendeine Figur, die da rumstand, wo er lesen sollte, gegen die er was hatte und die mußte rausgeschleppt werden, das war irgendwie, hat er gesagt, das ist was für Studenten in der Kantine, die können sich das angucken, beim Fressen, beim Fressen kann man sich das angucken, aber nicht, wenn er selber daneben auftritt, das kann nicht sein. Und dann haben wir irgendso'n Sockel, mit einem Idioten drauf, der acht Finger an der Hand hatte, also den mußten wir rausschleppen.

M: Ja und wie ist das mit seiner Dichterei? Da hast du mir mal was erzählt, daß du zu ihm sagtest: "BAADER, du bist wahrscheinlich ein Dichter." Wie hat er darauf reagiert?

W: Das war die Situation, wo ich diesen angebrannten Fuß hatte, und BAADER sich darum gekümmert hat. Also: ich hatte diese Riesenbrandblase, weil ich versucht hatte, durchs Feuer zu gehen, und BAADER hat das versorgt. Ich bin schließlich eingeschlafen und BAADER hat weitergearbeitet, konnte nicht schlafen. Da hat er dieses Gedicht geschrieben: "es läßt sich keiner umerziehen usw." Und dann hat er mich geweckt und mir das vorgelesen. Und da hatte ich den Eindruck, hier geht's ganz klassisch zu - nur er erweitert es um eine Silbe, oder zwei - vom Klassischen her - daran hatte ich gedacht, und da hab ich ihm voller Erstaunen, wie's ist, wenn man so gerade geweckt wurde, also in allergrößter Ehrlichkeit, gesagt: "Mensch BAADER, du bist wahrscheinlich'n Dichter. Du bist'n Dichter." "Na Jaahh", hat er gesagt, du kennst ja seine Bewegungen, kennst du ja auch noch, "ist mir heute Nacht so eingefallen, ich glaube auch, daß ist o.k." So. Oder besser gesagt: Trakl, über Trakl haben wir uns viel unterhalten. Daß da Farben vorkommen. Also, Farben in Gedichten hat er akzeptiert. Wie Trakl die Farben traktiert hat für ganz bestimmte Bilder. Aber seine Zeichnungen in Halle, die farbigen, das waren einfach naive Rückstände. Das hat er eher hängenlassen, um's abzutun: "HA, HA, das hab ich auch mal gemacht."

M: Wie würdest du einen Text von BAADER beschreiben, was für eine Form von Herangehensweise ans Schreiben hatte der BAADER.

W: Naja, aus Krümeln wieder ein Brötchen machen, oder sowas. Also, wie ich gesehen habe, hat er sich ständig Notizen gemacht und dann hat er's wieder zusammengesetzt; wie so'n Philatelist - (das wieder auf einer einzelnen Seite zu gestalten.) Also BAADER war immer eher verliebt in einen einzelnen Einfall, den er hatte, einen einzelnen Satz, einzelnen Ausdruck. Aus diesen Sachen hat er dann, ich will nicht sagen Gedichte gebaut, eher eine Art Installation hergestellt, die so'ne Art Gedicht wurde.

M: Es gibt ja einerseits die Texte, die wie Prosa gesetzt, eigentlich aber Gedichte sind, aber auch solche, die älteren, die durch die Satzform als Gedichte gleich erkennbar sind. Zum Schluß hat er ja nur noch die Prosaform benutzt, die extrem verkürzten, hochgradig komprimierten, reduzierten . . .

W: Ja, das hab ich nicht so genau mitgekriegt, aber jedenfalls gibts die Wandlung, die gab's aber schon, bevor ich ihn kannte, also vor '87. Irgendwann hat er vielleicht mal einen Text abgeliefert, also in Prosaform, und es hat ihm gefallen; und dann hat er mehr und mehr diese Texte gemacht, das ist wie so'ne Zahnfüllung - sie sind breiter geworden. Und dieses Ding, das du eben erwähnt hast, das ist eben ein Schlüsselding; wo er es noch als Gequatsche abgetan hat, als ich gesagt hab: "Du bist'n Dichter." Aber gefallen hat's ihm auch.
Ich glaube Gedichte waren für ihn immer noch ernsthafte Sachen und das andere war die Leichtigkeit des Ausdrucks oder sowas; daß man schnellere, verrücktere Sachen machen kann, das man da Namen, Zusammenhänge reinnehmen kann wie: "Bärbel Bohley mir 5 Mark" - also sowas wie Boley, das erwähnt man doch nicht in Gedichten! Ich glaube, er hat's gemacht, damit er auch diese Seite noch textlich umsetzen konnte, damit sich nicht soviel anstaute. Deswegen war der ja immer noch halbwegs so frei und locker; weil er das in dieser Form abgearbeitet hat.

M: Wie würdest du seine Arbeit überhaupt einordnen, in Bezug auf das Umfeld, in dem er gearbeitet hat - seine DDR-Situation. In welchem Zusammenhang sind seine Texte zu sehen.

W: Ich weiß schon, was du ungefähr meinst. Ich glaube als blutige Binden, die man sich abnimmt und der Welt vorwirft, so blöd das klingt, so ungefähr würd ich sagen, hat der BAADER gearbeitet und es war echtes Blut, echte Binden und auch echtes Hinwerfen. Diese Verzückung in Einzelheiten ist nicht das Wesensmerkmal von BAADER, ich glaube, daß er schon ganz genau gewußt hat, daß er mit 16 oder 14 einen Weg begonnen hat, der nicht normal ist, und daß die Gedichte und Texte, die er abgibt . . . der würde jetzt lachen, so wie ich das jetzt sage, und der würde tönen: "Jaah, das ist Kampf, das ist Krätze, Grafitti ist das!" oder ähnlich - ist aber gar nicht so gewesen, war nicht 'ne Message, war eher: Ich schmeiß euch den Beutel hin - sowas glaub ich.

M: ...und ist wohl auch nicht so zu sehen, daß BAADER sozusagen für die Kunst gelitten hätte, insgeheim einem Kunstleidensmuff, einer Betroffenheitskünstlerei gehuldigt hätte.

W: Nee, es ging bei ihm ja überhaupt nicht um Kunst, bei BAADER geht's gar nicht um Kunst. Es geht bloß um dieses Existieren, um Leben, also die Texte als Stelzen sozusagen, um weitertorkeln zu können. Der ist ja irgendwann sozusagen textös gebunden gewesen, der kam ja gar nicht mehr davon los, hat immer nur noch versucht, alle Dinge, die er gesehen hat, textlich zu fixieren, komplett infiziert. Nee, also für die Kunst überhaupt hat der gar nichts gemacht, ging ihm am Arsch vorbei, die Kunst. Es gingen ihm vielleicht einzelne Künstler nahe, einzelne Figuren, aber nicht wegen der Texte, sondern auffälligerweise durch die Lebensart und Weise - na, wie hat er gesagt: "Immer auf der Flucht."

M: Er hat ja mit seinen Texten gelebt, auch in Gesprächen sind ja immer Textbrocken hochgekommen, so hat er wohl auch gearbeitet.

W: Ich weiß nicht, wie man das bewerten muß. Sicher hat er in seinen Texten gelebt, hat sie ja nicht nur vorgetragen. Mit seinen Einfällen ist er ja auch über den Tag gekommen. Damit hat er sich Würste und Suppen verschafft. Der ist ja auch in Kneipen nie allein geblieben, hat ja auch mit Prolos rumgestanden, die gesagt haben: "Iss o.k., bist'n schräger Vogel, aber kriegst deine Suppe und dein Bier jetzt:" Aber wie soll man das bewerten? Ich denke, er hat schon ziemlich genau gewußt, daß es eine Bewunderung gibt und hatte das ähnliche Problem, das ich auch habe, bloß in, sagen wir mal, volkstümlicherer Art hab ich das, zu wissen, daß es doch alles durch mich selbst gemacht werden muß. Und dieses Jacke-ausziehen-hochreißen-Augenverdrehen ist natürlich in dem Augenblick, wo er es macht, ehrlich und echt, aber er weiß natürlich auch: seine Texte kann er nicht einfach pur vorlesen, das geht nicht.

M: Nochmal zur Tendenz der Verdichtung und extremen Hermetik seiner Texte, bis hin zu einem fast nicht mehr nachvollziehbaren Punkt und dann seinem eigenen Verschwinden, was ja wie eine perfekte Inszenierung aussieht.

W: Ja. Space-Shuttle. Und dann ist die Rakete eben weg. Und dann sind die sieben Kosmonauten unterwegs, so ungefähr.
Den Eindruck hab ich auch jetzt wieder, seit ein paar Monaten, daß das überhaupt kein Unfall war. Ich bin schon eher wieder bei dem Gedanken einer Inszenierung. Aber ich halte BAADER nicht für so mutig, daß er sich in eine Straßenbahn fallen läßt.

M: Nee.

W: Weeßte, und das ist ja der Punkt. Er müßte sich ja im Bewußtsein, daß sie da ist, daß sie jetzt auf seiner Schulterhöhe ist, zurück fallen lassen, vom Hergang her; und doch nicht mit dem Gesicht hin, zur Gegenbewegung, das geht nicht. Und ich glaube nicht, daß es bei BAADER sowas gibt. Aber vorangetrieben hat er's schon, textlich, auf ein Ende zu.

M: Wie ist seine Arbeit zu sehen, jetzt, wo er weg ist?

W: Ich halte das für sowas wie einen Restbestand in einem Filter. Ich halte das für wirklich noch untersuchbar. Es ist ja bisher noch gar nicht groß bekannt geworden, was das für eine Welt ist. Damals wars irgendwie zeitgemäß. Zur Zeit von "ceaucescu meiner seele" war Ceaucescu noch da. Und nach diesem Satz gabs keine anderen Zeilen, dafür hat BAADER bei Lesungen ja durch seinen Vortrag gesorgt. Und ich glaube, daß man jetzt so die folgenden vier, fünf Zeilen untersuchen muß, bis wieder so ein Ausspruch kommt wie: "ich schenke dir meinen Gummislip." Ich glaube, das macht seine letzten Texte aus, da gabs mehr den Text und mehr den Wahnsinn des textlichen Festmachens von Zuständen, die auch nur als Wahnsinn zu sehen sind.

M: So dumm das ist, muß man die BAADER-Texte auch im literarischen Zusammenhang sehen, weil sie früher oder später auf ein sogenanntes Fachpublikum stoßen werden. Wie sollten sie dann gesehen werden, wenn auch möglicherweise erst in einigen Jahren, vielleicht Jahrzehnten? Wo, und wie hat BAADER sein Zeug abgelegt?

W: Ein wichtiger Aspekt ist, daß er versucht hat, Texte außerhalb der Werbesprache zu machen. Deshalb war er auch so begeistert von Kling, der Texte gemacht hat unter Einbeziehung von Werbeversatzstücken. BAADER hat das Gegenteil versucht mit den Mitteln der Reklame - aber ohne Übernahme von Inhalten - dem Wahnsinn zu entgehen, daß alles, was gesagt werden kann, beispielsweise zu einem Schrecknis, von tagesaktuellen Plakaten, Slogans, Ankündigungen usw. zugeklebt wird, daß eigentlich überhaupt kein Ausdruck mehr, keine Wertung von irgendwas noch ein Recht hat, durchkommen zu können. 

M: Ja, ich erinnere mich, daß er kurz vor seinem Abtreten begeistert davon erzählt hat sowas wie Werbespots zu drehen, Spots mit eigenen Texten. Er hatte eine Unmenge Ideen und drang darauf sowas zu realisieren, mit den Mitteln der Werbung, aber konträr gedreht.

W: Ja, ich glaube, daß er wußte, daß er das textlich so wie Kling und andere davor nicht zu machen hat. Aber wie das zu bewerten ist? Ich glaube, er hat's schon gewußt - mit diesem Satz: "wir kriegen euch alle!" Oder: "wir seh'n uns noch auf dieser welt, wenn nicht, vielleicht in bitterfeld." Das sind schon so'ne Sätze gewesen, die zeigen, daß er auch wußte: im Jahre 2017, 2034 dann werdet ihr hören, was ich gesagt habe. Denn auf Feten oder in Gesprächen ist er ja auch nicht weitergekommen als bis zu allgemeinverständlichen Sätzen wie: "Der Mensch kann sich sein Leben nehmen, er hat es ja bekommen", oder ähnliches. Da sind die Mädels hängengeblieben und die Jungs, die haben ihn ja vorbehaltlos geliebt, bewundert.
Nee, ich halte BAADER überhaupt noch nicht für erledigt.